Verantwortung für die Schöpfung
Als mich P.Paul darauf angesprochen hat, ob ich nicht einen Beitrag rund um die Bibelausstellung gestalten möchte, habe ich spontan dieses Thema gewählt, obwohl das nicht unmittelbar meinen Arbeitsbereich “Ehe und Familie” kennzeichnet – wenn wir später auch sehen werden, dass er sehr wohl berührt wird. Aber ich bin den Fragen gefolgt, die mich von Kindheit an immer sehr beschäftigt haben: Was hat sich Gott dabei gedacht, als er diese Welt schuf? Was sagt uns die Beschaffenheit dieser Welt darüber, worauf er damit hinaus wollte? (Das legt uns etwa Paulus im Römerbrief nahe, wenn er meint, die Heiden hätten die Größe und Weisheit Gottes aus der Gestalt der Schöpfung erschließen können.) Schließlich die interessante Frage: Was für einen Platz habe ich, haben wir als Menschen in dieser Schöpfung? Was erwartet sich Gott von uns, von mir?
Für mich war das Bild von der Welt, das sich uns erschließt, immer maßgeblich auch für die konkrete Gestalt des Glaubens. In der Schul- und Studienzeit hat mich daher ein Mann und sein Denken sehr beeindruckt, der als Naturforscher und Theologe Glaube und Weltbild immer nur zusammen sehen konnte:
Der französische Jesuit Pierre Teilhard de Chardin (1881 - 1955) zeichnet folgendes Bild unserer Situation: Wir haben zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem geschichtlichen Schock entdeckt, dass die Welt eben nicht immer so war, wie sie ist, sondern dass sie sich entwickelt und – dass wir Menschen damit verantwortlich sind für die Entwicklung dieser Welt. Das eröffnet große Chancen, aber noch mehr Ängste. Viele Menschen wollen diese Veränderung noch gar nicht wahr
haben, weil sie sich in einer solcherart offenen Weltgeschichte verloren und ungeborgen fühlen. Und mir scheint: in jedem/jeder von uns gibt es beides: einen Teil, der nach vorne stürmt, gestalten will und den anderen Teil, der am liebsten alles so belassen will, wie es immer war. Es gibt aber kein Zurück mehr in die mittelalterliche Welt der Vorgegebenheiten, in der es nur darum ging, der gottgegebenen Obrigkeit zu folgen, um im Einklang mit der Gesellschaft zu sein. Die Katastrophen der beiden Weltkriege und insbesondere die todesverliebte Tragödie der totalitären Hitlerdiktatur haben uns – hoffentlich endgültig – gezeigt, dass unreflektierte Befehlserfüllung und Schielen nach oben zurück in eine barbarische Vergangenheit führt.
Was aber führt nach vorne? Teilhard de Chardin fordert uns auf, die Entwicklungslinien der Evolution (der Weltwerdung) aufmerksam zu verfolgen, die er so beschreibt: in den drei Hauptphasen der Erde (1. bevor noch Leben war, 2. in der sich das Leben entwickelte und 3. nach dem Auftreten des Menschen) gab bzw. gibt es zunächst eine erste Zeit der Entstehung von Verschiedenheit, der Ausfaltung und dann eine Zeit der Verbindung des Verschiedenen, einer Konzentration und Ausdifferenzierung zu einer Einheit, bis etwas ganz Neues an den Tag kommt:
Wenn Gott die Liebe ist, was heißt das für seine Schöpfung?
Da ist zunächst die Auseinanderfaltung der Materie, die Bildung der Galaxien und Sonnensysteme mit ihren Planeten wie der Erde (Phase 1 a). Auf der Erde entstehen dann mit der Zeit chemische Verbindungen, welche die Grundlagen der Eiweiße sind, so dass schließlich Leben wird (Phase 1 b). Sobald das Leben auftritt, erobert es explosionsartig den ganzen Erdball und faltet sich schon sehr bald in eine Fülle von Formen der Pflanzen- und Tierwelt auf (Phase 2 a). Und während diese Entstehung der Arten weitergeht, kommt es zu einer immer größeren Differenzierung einer bestimmten Art im Übergang vom Reich der Primaten und zum Auftreten des ersten Menschen (Phase 2 b). Die Menschheit wiederum erobert in einer weltgeschichtlichen Sekunde alle fünf Kontinente und faltet sich dann aus zu der uns bekannten Vielfalt von Völkern und Stämmen (Phase 3 a). Was kommt dann? Teilhard sagt: die Phase 3 b ( die mit dem Kommen Jesu begonnen hat) ist die der Amorisation, der liebenden Verbindung und Ausdifferenzierung der Menschheit auf das eigentliche Ziel der Schöpfung hin, die liebende Reife, auf die hin uns der Schöpfer ins Leben gerufen hat. Und dort erwartet uns nach Teilhard der “kosmische Christus” als der Punkt Omega.
Das mag jetzt ein bisschen kompliziert klingen. Was bleibt: Wir sind als Menschen von Gott in eine Welt gerufen, die in Veränderung befindlich ist und er will, dass wir uns an der Vervollkommnung dieser unserer Erde beteiligen. Die Richtung dabei ist nicht in erster Linie die Neuschaffung von weiterer Vielfalt, sondern die Verbindung, die größere Komplexität, die Schaffung einer Einheit auf der Grundlage der verschiedenen Elemente. Es geht also jetzt darum, dass wir Menschen Interesse füreinander aufbringen, mit einander in Verbindung treten, von einander lernen und so etwas Neues wachsen lassen, das wir noch nicht kennen.
“etsi deus non daretur”
Auf dem Jakobsweg in Spanien, den ich im Mai gehen durfte, wurde mir von zwei spanischen Mitpilgerinnen ein Gedicht von Antonio Machado (1875-1939) geschenkt, das auf deutsch etwa so beginnt: “Wanderer, deine Träume sind der Weg, und sonst nichts. Wanderer, es gibt keinen Weg: der Weg entsteht im Gehen. Das Gehen macht den Weg. Und wenn du etwas von ihm sehen willst, dann nur im Blick zurück.” Diese Worte haben mich ganz unmittelbar getroffen. Sie haben mich auch an die Gottesoffenbarung an Elija erinnert, in der Gott nicht im Sturm, nicht im Feuer, sondern im zarten Windhauch, und eben nur von hinten (im nachhinein) erfahrbar wurde.
Später wurde mir dann klar, dass mit diesem Gedicht die Philosophie des “Konstruktivismus” gekennzeichnet wurde, die dieser Weltsicht entspricht: Für Glaubende: Die Frage nach dem “Plan Gottes” führt uns dazu, dass wir erkennen: Dieser Plan ist in Entwicklung, und wir ahnen, dass Gott von uns erwartet, uns im Hinhören auf ihn als Partner an dieser Entwicklung zu beteiligen.
Die Konzilsväter haben das an einem Beispiel ausgeführt, das mir sehr nahe liegt: dem der sogenannten “verantworteten Elternschaft”. In der Pastoralkonstitution werden die Eltern aufgefordert “im großherzigen Hören auf Gott” Zahl und Abstände ihrer Kinder selbst zu verantworten, Sie sollen dazu prüfen, wie viele Kinder sie verantwortlich erziehen können, und was ihre wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Situation erlaubt.
Das war ein so großer Paradigmenwechsel, dass etwa ein Bischof Rusch von Innsbruck den Menschen so viel Freiheit nicht zutrauen konnte. Er hatte gemeint, wenn es jetzt nicht mehr so viel Kinder wie möglich zu bekommen gelte, dann müsse die Kirche eben ein vernünftiges Maß bestimmen, und das waren für ihn je Familie drei Kinder. Punkt. Vielleicht war er ja auch weise, wusste er doch aus Erfahrung, dass zu viel Mündigkeit nicht allen Menschen bekommt und willkommen ist.
Dietrich Bonhoeffer, der große evangelische Theologe und Martyrer des deutschen Widerstands, meinte denn auch, dass diese Mündigkeit und souveräne Selbstständigkeit so dem weit verbreiteten Bild von Religion widerspricht, dass er dem “religionslosen Christentum” eine Zukunft versprach. Er meinte damit etwas ähnliches wie der Papst des Konzils: dass wir unsere gewohnten engen Denkmuster überkommener Religiosität überwinden müssen, in denen uns alles und jedes haarklein erlaubt, geboten oder untersagt wird, dass wir stattdessen die Fenster zur Welt öffnen und in christlicher Freiheit finden und entscheiden müssen, was jeweils gefragt ist, damit die Entwicklung gut weitergeht. Bonhoeffer meint, wir müssten verantwortlich leben “etsi deus non daretur” – auch wenn es Gott nicht gäbe. Erst dann, wenn wir nicht immer auf Gott als den großen Überpapa schielen, könnten wir ihm, dem souveränsten Souverän begegnen.
Was heißt das aber jetzt konkret? Welche Konturen gilt es jetzt zu entdecken?
Wagnis eingehen, wirtschaften: Das Gleichnis von den Talenten beim Wort nehmen. Der Politiker Prinzhorn hat einmal in einem politischen Forum gesagt: “Die Gemeinden müssen wirtschaftlich handeln, aber sie können es nicht: Sie können bestenfalls Sparmeister spielen. Da sind ja sogar die Kirchen besser und die können wahrhaftig nicht wirtschaften.” Um so mehr gefällt mir, wie etwa die Karmeliten sich mit der Umgestaltung ihrer Liegenschaft über ein ungewöhnliches Projekt – das Atrium – getraut haben. Ich nehme an, wohl kalkuliert, aber doch mit einem kräftigen Schuss Wagemut. Ich meine, das ist von uns erwartet, egal wo wir stehen, dass wir uns etwas einfallen lassen sollen, kreativ sein: dem Schöpfer, dem Kreator folgen, mit aller Vitalität: So ehren wir ihn und das Leben, das er uns so reich gegeben hat, in dem wir es einsetzen. Andernfalls – indem wir uns in die furchtsame Vorsicht zurückziehen – würden wir den “élan vitale” (Teilhard) den vitalen Schwung, die Kraft des Lebens bremsen und so Saboteure an der Schöpfung. Wenn wir aber unsere Möglichkeiten einsetzen, kann Innovation auch in einem umfassenderen Sinn geschehen. Voraussetzung allerdings: dass Sinnvolles angestrebt wird und dieses Ziel im Auge behalten bleibt (nicht Verselbständigung des Wachstums als Ziel an sich).
Vernetzen: In den Zeiten der globalen Nachbarschaft, wo ich heute in Sekundenschnelle über das Internet mit Freunden in Neuseeland, Kanada oder Südafrika verbunden bin, gibt es die bislang einmalige Chance, mit wenig Aufwand über den Zaun zu schauen. Es braucht nicht viel, um mit bislang Fremden in Kontakt zu kommen: Tschechien ist wirklich nur noch 30 km entfernt und keine Weltreise mehr. In unseren Fabriken, Schulen, Krankenhäusern, Handwerksbetrieben, Gasthäusern und auf den Straßen als Zeitungsverkäufer arbeiten Menschen aus Serbien und Kroatien, Arabien und Indien, den Philippinen und Nigeria, Taiwan und Persien, Griechenland und Ägypten. Ohne diese Menschen, die hier bei uns eine neue Heimat suchen und z.T. schon gefunden haben (vor allem in der 2. und 3. Generation) würde unsere Wirtschaft zusammenbrechen. Politiker, die sagen, Österreich sei kein Einwanderungsland, sind entweder blind oder halten das Volk für dumm. Es bleibt uns doch gar keine Wahl, als uns mit der kulturellen Vielfalt auseinander zu setzen. Und da lobe ich mir das positive Eingehen auf die Mentalität des Anderen, auch wenn es mich herausfordert. Dafür brauche ich mein Selbstbewusstsein nicht aufzugeben, das würden auch meine Gesprächspartner gar nicht mögen. Denn worauf es dabei ankommt, ist eben die Wertschätzung des Anderen als gleichwertig. Nur wenn wir uns auf einer gleichen Ebene begegnen, können wir von einender lernen, wird Vielfalt zur Bereicherung.
Gesellschaftlich handeln: nachhaltig, sozial, auf Weltebene: Nachhaltig: Organisches Wachstum fördern, auch in der Wirtschaft anstatt Steigerungen um jeden Preis. Das heißt auch ein vernünftiges Tempo beim Arbeiten, so dass ich mit der Seele nachkomme. Und Produkte, die der Gesundheit zuträglich sind; Verkehr, der die Ressourcen schont (z.B. mit öffentlichem Verkehr, zu Fuß, per Rad wo immer das sinnvoll ist – und das ist öfter als man gemeinhin denkt). Beim Wohnen darauf achten, dass die Verkehrswege von und zur Arbeit nicht zu groß werden und die Umwelt geschont, die Energie sinnvoll genutzt wird.. Schließlich bei der Gestaltung und Wahl des eigenen Arbeitsplatzes darauf achten, dass ich nach diesen Kriterien meinen Kindern und Kindeskindern offen in die Augen schauen kann. Wir haben die große (und immer größer werdende) Chance, Arbeit zu finden, die auf das Ganze hin abgestimmt ist und können immer mehr die gefährlichen oder abstumpfenden Verrichtungen an Maschinen delegieren.
Sozial: Darauf achten, dass die Verteilung der Einkommen in einem Land, einer Region nicht zu unterschiedlich sind (aber auch keine sozialistische Gleichmacherei): Das dient der Motivation der Bevölkerung, sich anzuspannen, zu engagieren. Übrigens ist Österreich hier im internationalen Vergleich führend: Die Verteilung von Einkommen und Bildung ist bei uns vergleichsweise ausgeglichen unter den entwickelten Nationen. Diese soziale Balance wird allerdings vital gefährdet durch Faktoren des maßlosen Liberalismus. Wo dem Wachstum nicht soziale Rahmenbedingungen gesetzt werden, wird die kleine Gruppe der Großverdiener immer reicher zu Lasten der vielen, die diesen Reichtum eigentlich erwirtschaften. Es ist also notwendig, sich zu informieren und an sozialen Projekten zu beteiligen, etwa an “Attac”, das u.a. die globale Besteuerung von Finanzgeschäften anstrebt. Auch hier wieder geht es um den Erhalt einer möglichen Begegnung der verschiedenen sozialen Gruppen anstelle ihres Auseinanderdriftens.
Auf Weltebene: Hier scheint die EU mit ihren Erweiterungsprozessen ein gutes Beispiel zu geben: Sie hat in ihrem Kernbereich Standards entwickelt im wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen Belangen, in Fragen der Menschenrechte und der Demokratie. Alle Länder, die beigetreten sind oder beitreten wollen, wurden über diese Standards informiert und befragt, ob sie diese für sich übernehmen wollen. Dann wurde mit ihnen jeweils ein Zeitrahmen vereinbart, bis wann sie diese erfüllen können und inzwischen die Entwicklung eben dieser Standards von der EU mitfinanziert. Mir scheint, dies ist ein wunderbares Modell für die Entwicklung der ganzen Erde (s. Lit.). Wir müssen vom Bild der gewährenden großzügigen Geste der Entwicklungshilfe (von oben nach unten) zu einer partnerschaftlichen Verhandlungsposition gelangen.
Den Einklang suchen: Statt auf ängstliche Absicherung und Abgrenzung unseres Vorsprungs bedacht zu sein steht es uns in den “entwickelten” Ländern gut an, solche Politik zu fördern, die einen Konsens zwischen reich und arm sucht und einen solche differenzierte Innovation im Auge behält, die die ärmeren Staaten den Anschluss finden lässt an den allgemeinen technologischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Fortschritt. Der Gewinn dabei: Größere Zufriedenheit und Sicherheit verbindet sich mit dem offenen Austausch der verschiedenen Kulturen und ihres geistigen Reichtums.
Wir sind derzeit Zeugen einer lang erwarteten Annäherung großer Nationen an den uns bekannten wirtschaftlichen Standard: Indien, China und Brasilien, die zusammen ein Viertel bis ein Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren, sind dabei, ihre Volkswirtschaften “westlichem” Niveau anzunähern und haben dabei den Vorteil, dass die Verteilung der Einkommen in ihren Ländern eine bessere Ziffer ausweisen als beispielsweise die USA: dort verdienen die Menschen zwar durchschnittlich viel mehr, aber die Unterschiede sind wesentlich krasser. (Das war vor 20 Jahren noch ganz anders)
Wir leben in einer aufregenden Zeit, die viele Chancen in sich birgt. Und wir haben die Gelegenheit, durch demokratische Strukturen an der Gestaltung dieser Welt verantwortlich mit zu wirken. So können wir etwa als mündige Bürger und Zeitgenossen in der kommenden Wahl jene Politik unterstützen, die für Offenheit, Verständigung, soziale, wirtschaftliche und ökologische Verantwortlichkeit steht. Dafür ist allerdings notwendig, dass wir uns ein Bild machen über die Prioritäten der wahlwerbenden Parteien und uns nicht blenden lassen von Tricks und Show-Einfällen der Polit-Stars. (Ich werde hier selbstverständlich keine konkrete Empfehlung aussprechen, da es eben um Selbstständigkeit, um Mündigkeit geht)
Doch noch einmal zurück zur kleinen Welt: Verantwortung für eine Schöpfung, die sich hin zu größerer Verbundenheit entwickeln will, heißt hier Verantwortung für die Pflege von Beziehungen in Partnerschaft und Familie, in Freundeskreis und Gemeinschaften - ebenso wie die Pflege der eigenen Persönlichkeit..
Ich bin hier eigentlich recht zuversichtlich, auch wenn noch viel mehr geschehen könnte. Zum ersten: Trainings für Kommunikation boomen nach wie vor. Allerdings könnte es einen schon irre machen, wenn man die beständig wachsenden Scheidungszahlen anschaut. Aber: die Rückseite ist auch die nach wie vor große Hoffnung, gelingende Beziehungen zu gestalten. Nach wie vor ist eine gelingende Partnerschaft das große Ziel für die allermeisten Zeitgenossen.. Dass das allerdings viel Pflege braucht, spricht sich oft erst nach schlimmen Enttäuschungen herum. Eine zarte Pflanze des dazu Lernens möchte ich schon hervor heben: Das ist die allmählich selbstverständlich werdende Tatsache, dass auch nach einer Scheidung Eltern Eltern bleiben und sich gegenseitig diese Verantwortlichkeit zugestehen und einräumen. In der Konfliktvermittlung bei Scheidung, der sogenannten Mediation können wir auch hier erleben, dass gegenseitige Wertschätzung in sehr schwierigen Situationen gelernt werden kann - hier vor allem zugunsten der betroffenen Kinder.
Zum zweiten: wir sind in Österreich allmählich dabei, zu lernen, dass Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung mittels Bildung, Beratung und Therapie nicht mehr verschämt in Anspruch genommen wird. Frauengruppen sind da die Vorreiter gewesen, allmählich tut sich da auch auf Seiten der Männer etwas. Und es spricht sich doch auch herum, dass es eher eine Schande ist, wenn man den Bedarf an Hilfe hat und ihn dann ablehnt. Wo noch ein größerer Nachholbedarf besteht: Bei den Süchten, insbesondere den legalen, die auch heute noch die meisten Todesopfer verursachen: Alkohol, Nikotin und Arbeit. Ja, auch Arbeitssucht bringt Todesopfer. Denken sie nur an die vielen Männer, die kurz nach der Pensionierung das Zeitliche segnen, weil sie auf den “Entzug” nicht vorbereitet sind. Unser Lernziel ist hier größere Gelassenheit, ein Finden zur Mitte. Und ich verrate gerade hier kein Geheimnis, dass diese Suche nach einer tragenden Spiritualität sehr, sehr verbreitet ist. In der Psychoszene bin ich überrascht, wie hier Menschen, die gar keinen Platz in einer Kirche haben, sehr ernsthaft auf den verschiedensten spirituellen Wegen sind. Und da glaube ich als Christ, der sich in der Kirche daheim weiß, dass wir diesen Menschen mit viel Respekt begegnen können. Wenn sie merken, dass es uns eben so ernst ist, kann ein fruchtbares Gespräch entstehen.
So, jetzt habe ich auf verschiedenen Sektoren angedeutet, wohin es wohl weiter gehen kann. Gewiss bleibt es immer ein suchendes Vortasten, aber mit Franz von Assisi können wir gewiss sein: “Du suchst, was Dich sucht”. Ich meine, das gilt nicht nur für jede(n) einzelne(n), auch für uns alle auf diesem kleinen Planeten.
Lit.: Franz Josef Radermacher “Balance oder Zerstörung” Wien (Ökosoziales Forum Europa) 2002
Rolf Sauer: Vortrag am 12. November 2002 im Rahmen der Bibelausstellung bei den Linzer Karmeliten