Tiefzeit der Beziehung
Am Tag der Trauung, während der Zeremonie, vor Gott und der festlich gestimmten Gemeinde versprechen Braut und Bräutigam, einander die Treue zu halten in guten wie in schlechten Tagen. Kann sich ein junges, glückstrahlendes Paar an so einem Freudentag überhaupt „schlechte Tage“ vorstellen? Vielleicht gab es schon den einen oder anderen Streit, womöglich waren auch die Vorbereitungen für das Hochzeitsfest aufreibend und haben gelegentlich zu Spannungen zwischen den Partnern geführt, aber wirklich schlechte Tage? Wie kommt man angesichts einer HOCHzeit auf die Idee, sich Gedanken über die TIEFzeit einer Beziehung zu machen? An so einem Freudentag könnte die Gefahr bestehen, dass dieses Versprechen zu einer Zusage degradiert wird, die man so leichthin gibt, weil sie eben zum Wortlaut der Formel gehört. So ein inflationärer Gebrauch wäre sehr zu bedauern, unterminiert er doch die ungeheure Kraft, die in diesem Satz steckt. Wenn ich in „guten Tagen“ die verbindliche Zusage erhalte, dass ich auch „schlechte Tage“ nicht allein durchstehen muss, dass der Mensch, zu dem ich jetzt „Ja“ sage, bei mir und zu mir steht, dann stellt das die Ehe auf ein breites und festes Fundament. Auf dieser Basis kann ich dann auch ruhig einmal einen Blick auf die TIEFzeiten wagen, ohne Angst haben zu müssen, schlafende Hunde zu wecken. Im Gegenteil, es sollte dazugehören, sich aus einer Position der Sicherheit und des Wohlfühlens heraus einmal zu fragen, was denn für mich / uns TIEFzeiten und „schlechte Tage“ wären und wodurch sie entstehen könnten.
Sicher spielt die eigene Befindlichkeit dabei eine Rolle, denn sie wirkt sich unmittelbar auf die Partnerschaft aus. Hier gilt es, den Partner nie im Unklaren zu lassen. Die Frage „Wie geht es dir?“ darf nicht zur bloßen Floskel verkommen, sondern muss das ernst gemeinte, aufrichtige Interesse widerspiegeln. Im Vertrauen auf das Eheversprechen darf ich mich dem Partner dann auch zumuten in meinem Kummer, Zweifel, Ärger, Zorn, meiner Unsicherheit oder Enttäuschung. Ich darf ein offenes Ohr und offene Arme erhoffen, wenn ich das brauche und umgekehrt auch bereit sein, beides anzubieten. Wer einmal die Wohltat gespürt hat, einem verständnisvollen und im wahrsten Sinn verstehendem Gegenüber sein Herz auszuschütten, weiß, dass das etwas sehr Kostbares ist.
Oft begründet natürlich auch das getrübte Verhältnis der Partner zueinander eine TIEFzeit. Ein Wort gibt das andere, es fliegen die Fetzen. Schreiduelle oder aber auch totale Funkstille - wir haben einander nichts (mehr) zu sagen. Was ist denn eigentlich passiert, und wie ist es dazu gekommen? Manchmal wissen Eltern, Geschwister oder enge Freundinnen darüber besser Bescheid als die eigentlichen Betroffenen. Bei anderen über das häusliche Elend zu klagen und zu schimpfen mag ein Weg sein, um über eine TIEFzeit hinwegzukommen und wird auch als zunächst entlastend empfunden. Eine wirklich tragfähige Brücke über ein Beziehungstief lässt sich aber so sicher nicht bauen. Das bei der Trauung gegebene Eheversprechen fordert uns heraus, die Verantwortung für die Qualität unserer Ehe zu übernehmen. Es lohnt sich also, zuerst mit demjenigen zu sprechen, den es angeht, zu schildern, wie mir zumute ist und herauszufinden, wie es dem Partner in dieser Situation geht. So ein Gespräch braucht Mut, denn ich öffne mich, um begreifbar zu werden und werde dadurch auch verletzbar. Wenn aber hinter der Wut und Verzweiflung noch das Vertauen auf die Zusage durchschimmert, einander die Treue zu halten, dann wird das Gespräch möglich sein. Wenn Partner einander zwar wegen einer Sache böse sind oder voneinander enttäuscht, an der gegenseitigen Wertschätzung aber festhalten, dann können sie sich auf das Gespräch einlassen. Wenn es ihnen gelingt, sich daran zu erinnern, mit welcher Freude und inneren Überzeugung sie das Versprechen einmal gegeben haben, dann fällt es auch leichter, es einzulösen, wenn die Tage wirklich schlecht sind.
Ulli Moore