Freier Wille und Zusage
„Freier Wille“, was will das heißen im Zusammenhang mit meiner kirchlichen Heirat, mag sich so manche Braut und so mancher Bräutigam fragen? Gut, das eine mag einmal klar sein: Die (nicht nur katholische) Kirche will es genau wissen, dass ich meine Entscheidung zur sakramentalen Ehe ohne Zwang, Nötigung, Furcht oder einem sonstigen Freiheit beraubenden oder zumindest einschränkenden Aspekt gefällt habe. Und der/die kirchlich heiratende Erwachsene selber will es eigentlich auch wissen, soll heißen, will sich gerne einigermaßen sicher sein.
Es stimmt ja auch: Eine unter einer Haltung, die eindeutig von Unfreiheit zeugt, zustande gekommene Ehe hätte nur wenig mit dem Ehesakrament, mit einer Zusage Gottes, mit seinem Segen zu tun: Christlich verstandene und gelebte Liebe gibt es nicht ohne Freiheit und Ehrlichkeit zugleich. Die Zeiten, wo kirchlich geschlossene Ehen unter solchen Umständen möglich waren, sollten auch vorbei sein. Will man jedenfalls meinen.
Aber ist es auch so klar, worin dieser „freie Wille“ tatsächlich besteht? Sehen wir uns mal kurz die betreffende Frage im Trauungsritus an, es ist die erste der vier Fragen: „Sind Sie hierher gekommen, um nach reiflicher Überlegung und aus freiem Entschluß mit Ihrer Frau/Ihrem Mann den Bund der Ehe zu schließen?“ Der freie Wille, um den es hier geht, hat also mit reiflicher Überlegung und mit freiem Entschluss zum Jawort zu tun. Womit wir an den Kern der Sache kommen.
Reifliche Überlegung: „Wir kennen uns doch seit ...“ – ja, gut, aber wissen wir wirklich alles Lebenswichtige voneinander? Wie gut kennen wir die jeweiligen Herkunftsfamilien beider Partner? „Ehe-Wille“ – verstehen wir beide darunter das gleiche, oder etwas ähnliches, oder gar etwas verschiedenes, um nicht zu sagen Gegensätzliches?
Die Überlegung, zu einem Menschen für das restliche Leben Ja sagen zu wollen, hat vor allem damit zu tun, unter welchen Gesichtspunkten sie geschieht. In moralischer Hinsicht ist hier eine gewaltige Bandbreite möglich, von altruistischer Haltung („Ich will dir alles geben und stelle mich zurück, wo es nur geht“) bis zu purer Selbstsucht („Du bist ja dazu da, um mich glücklich zu machen und alle meine Wünsche und Hoffnungen zu erfüllen, schließlich hast du Ja zu mir gesagt“).
Wer verstanden hat, dass es um den Versuch der richtigen Balance von Geben und Nehmen, von Senden und Empfangen geht, um Bringschuld und um beschenkt werden, ist auf dem richtigen Weg, und kann in den verschiedenen Überlegungen die goldene Mitte zwischen mehr oder weniger unheilvollen Extrempositionen finden.
Grundmuster solcher Überlegungen sind die am schwersten beantwort bar erscheinenden, und daher zugleich auch wieder reizvollsten Fragen: Gehören wir wirklich zusammen oder nicht? Sind wir füreinander bestimmt oder doch nicht? So verständlich für den Heiratenden die Sehnsucht nach einer definitiven – und nach Möglichkeit positiven – Antwort auf solche Fragen sein mag, so realistisch ist auch wieder die Annahme, eine endgültige und vollständige Antwort auf diese Frage nicht erhalten zu können. Was einem dabei bleibt, ist, im Ehe-Alltag in gewisser Weise immer wieder aufs neue Antwort zu suchen und zu finden. Und das wird man wohl als „reiflich“ bezeichnen können, wenn jeder Tag etwas Neues bringt.
Aber was ist es, das den „freien Entschluss“ zu einem solchen macht? Nicht nur der Umstand, dass das Maßgeblichste an der Entscheidung nicht von jemand anderen als von mir, dem sich entschließenden Partner, kommt oder massiv beeinflusst ist. Und zu diesen „Anderen“ zählt hier insbesondere der Partner, dessen Entschluss so frei ist, wie er die Freiheit des Partners gleichfalls zulassen soll.
Nein, es ist vielmehr noch der Umstand, dass dem Entschluss selber Werte zugrunde liegen, die hoch sind, wahre moralische Tugenden von zeitlosem Wert. Das bedeutet auch, seinen Entschluss nicht von Dingen abhängig zu machen, die unwichtig oder gar unmoralisch sind. Eine solche Haltung öffnet schließlich auch den Blick für die eigenen Schwächen, darüber hinaus für jene des Partners, und kann damit Stärken besser erkennen und würdigen helfen. Vergessen wir nicht, dass sich diese reifliche Überlegung und dieser freie Entschluss nicht nur auf einen geliebten Mitmenschen hin konzentrieren, sondern dass hier eine christlich-religiöse Dimension besteht. Ja, richtig: Sie besteht, sie ist da, selbst wenn sie kaum spürbar oder sonst wie direkt erfahrbar sein sollte. So oder so ist sie Zusage – nicht im Sinn einer Selbstbeweihräucherung freilich, sondern als Ausdruck der Liebe eines Gottes, von dem zu Recht gesagt werden darf, dass er die Liebe selbst ist.
Wer sich also die Frage stellt: „Will ich, soll ich kirchlich heiraten?“, und dabei zu einem klaren „Ja“ kommt, ohne sich selber etwas vorzumachen, oder sich im nachhinein Oberflächlichkeit vorwerfen zu können, wird wissen, dass diese Entscheidung ohne reifliche Überlegung und nicht aus freiem Entschluss heraus gar nicht richtig möglich wäre. So kommt es zu einer Entscheidung zu einem Leben, welches vom Willen zu einer wahrhaftigen Liebe getragen sein will und kann.
Mag. Robert Ganser