Ehe als Partnerschaft
Statement von Dr. Erich Lehner anläßlich der Präsentation von EHEonline.at, 23.04.‘02
Jede dritte, im städtischen Bereich sogar jede zweite Ehe, wird geschieden. Zeitdiagnosen, in denen die Ehe als Auslaufmodell bezeichnet wird und die Bindungslosigkeit gegenwärtiger Menschen beklagt wird, dürften demnach den Kern des Problems treffen. Scheint es doch, dass sich an Stelle der unerschütterlichen Dauerhaftigkeit von Ehen früherer Zeiten die Beliebigkeit einer Spaßgesellschaft auch im Lebensbereich von Ehe und Familie breit gemacht hat.
Um so erstaunlicher ist es, dass in Untersuchungen über Jugendliche deren deutlicher Wunsch nach Partnerschaft auftritt und in ihren Vorstellungen von Beziehung Treue eine zentrale Rolle einnimmt. (Großegger 2001) Diese Ergebnisse der Forschung werden gestützt durch Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie, im konkreten der modernen Säuglingsforschung, die eindrucksvoll das angeborene Bedürfnis des Menschen nach sozialem Kontakt aufgezeigt haben. Ein Kleinkind tritt demnach ausgestattet mit dem zentralen Grundbedürfnis nach Beziehung(en) in diese Welt. (Stern 1992) In dieselbe Richtung weisen schließlich auch die Ergebnisse einer Analyse beruhend auf dem Familiensurvey des Deutschen Jugendinstitutes von 1988, die besagen, dass die Bindungsquote über einen Zeitraum von 20 Jahren (1968-1988) fast unverändert geblieben ist. Über 70% der 18-35jährigen leben in einer weitgehend stabilen Partnerschaft, die zumindest ein Jahr andauert, und nur gut ein Viertel lebt ohne Partner oder in einer kürzer währenden Partnerschaft. Innerhalb dieses Zeitraumes gab es nur Veränderungen in bezug auf den Anteil derer, die in nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften leben, der größer geworden ist. Demgegenüber ist der Anteil derer, die in einer Ehe leben, kleiner geworden. Dies kann jedoch nicht als Geringschätzung der Ehe gesehen werden. Sie hat sich bloß ans Ende des dritten Lebensjahrzehnt verschoben, ist aber ab hier nach wie vor die dominante Lebensform. Nicht-eheliche Lebensgemeinschaften und auch andere Beziehungsformen bilden gesellschaftlich gesehen nur Vorstufen, aber keine Alternativen zur Ehe. (Klein 1999)
Angesichts dieser Daten kann von einer zunehmenden Bindungslosigkeit in unserer Zeit keine Rede sein. Vielmehr zeigt sich, dass allen gesellschaftlichen Veränderungen zum Trotz das Bedürfnis nach Beziehung und Partnerschaft ungebrochen stark das Leben der Menschen bestimmt. Die Frage, ob gegenwärtige Generationen weniger bindungsfähig wären als frühere ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Sie erweist sich auch angesichts der Ergebnisse familienhistorischer Forschung, die unser Bild von der Stabilität von Ehe und Familie in früheren Jahrhunderten gehörig ins Wanken gebracht hat, als falsch. Weitaus fruchtbringender und für die Zukunft hilfreicher ist die Frage, welche gesellschaftlichen Umstände und Lebensbedingungen einzelne Menschen unterstützen können, ihr fundamentales Bedürfnis nach Beziehung und Partnerschaft auch zufriedenstellend zu leben und welche sie in diesem Bedürfnis einschränken.
Als ein zentraler belastender Faktor, der das grundsätzliche Beziehungsbedürfnis gegenwärtiger Menschen übermäßig stark belastet, muss das derzeit vorherrschende Geschlechterverhältnis angesehen werden. Gerade der Umstand, dass drei Viertel der Scheidungen von Frauen beantragt wird, weist in diese Richtung. Schnell fällt einem die schon vielerorts beschriebene und beklagte Schwierigkeit vieler Frauen, Beruf und Familie zu vereinen, ein. Dies ist jedoch nur die eine Seite des Problems. Denn in jeder Familie, in der die Frau das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat, gibt es (zumindest eine Zeit lang) einen Mann, den das selbe Problem trifft. So muss man die Frauenfrage als Kernproblem der aktuellen Geschlechterverhältnisse zwingend notwendig um die mindestens ebenso problematische Männerfrage erweitern.
Untersuchungen der männlichen Lebenswelten und Verhaltensweisen zeigen ein beinahe eindimensionales Bild. (Belege und detailliertere Ausführungen vgl. Lehner 2001) Allen gesellschaftlichen Veränderungen zum Trotz ist für Männer Berufsarbeit nach wie vor der wichtigste Lebensbereich. Viele Männer beteuern zwar, dass für sie die Familie der wichtigste Lebensbereich ist. Fragt man jedoch genauer, welche Aufgabe sie für das Familienleben übernehmen, so geben sie an, dass sie als ihren wichtigsten Beitrag die (materielle) Versorgung der Familie ansehen. Paul M. Zulehner spricht in diesem Zusammenhang von Männern als Familienerhalter und Frauen als Familiengestalterinnen. Folgerichtig ist auch der Beitrag von Männern an Hausarbeit selbst dann, wenn die Partnerin voll berufstätig ist, wesentlich geringer als der von Frauen. Helge Pross sprach deshalb schon 1976 von einer “Internationale der Ehemänner”, die meinen, Hausarbeit sei Frauensache. Dieser Ausspruch hat trotz geringfügiger Veränderungen leider nichts an Aktualität verloren. Schließlich hat sich auch am Beitrag der Väter zur Kinderversorgung nicht Wesentliches verändert. Zwar sind gegenwärtige Väter präsentere Väter als noch in früheren Generationen, die nicht nur bereitwilliger den Kinderwagen schieben, sondern sich auch tatsächlich mehr mit ihren Kindern beschäftigen. Allerdings bevorzugen sie im konkreten Alltag die angenehmeren Tätigkeiten wie spielen, sporteln, Geschichten erzählen. Die unangenehmen Tätigkeiten wie Kinder waschen, für sie kochen und putzen, mit ihnen lernen, etc. überlassen sie nach wie vor gerne ihren Partnerinnen. Vor allem aber ist ihre Bereitschaft beinahe nicht existent, dass sie ihr berufliches Engagement an die Bedürfnisse ihrer Kinder anpassen. Die Tatsache, dass nur etwa 2% der Karenzeltern Karenzväter sind, spricht hier eine überdeutliche Sprache.
Ein traditionelles Geschlechterarrangement erweist sich als große Belastung für eine Beziehung. Will man deshalb Menschen helfen, ihr fundamentales Bedürfnis nach Beziehung und Partnerschaft zu leben, dann kommt Geschlechtergerechtigkeit oberste Dringlichkeit zu. Geschlechtergerechtigkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt in dieser Gesellschaft heißt, die Frauen in gleichberechtigter Weise am öffentlichen Leben zu beteiligen und im gleichen Zug eine geschlechtergerechte Umverteilung von Haus- und Familienarbeit zugunsten von Männern. Konkret geht es darum, dass Männer ihr berufliches Engagement reduzieren und ihren geschlechtergerechten Anteil an der Versorgung von Kindern, alten und kranken Menschen in der Familie übernehmen.
Die Veränderungen der derzeit vorherrschenden männerdominierten Gesellschaft in eine geschlechtergerechte erfordert gewaltige gesellschaftliche Änderungsprozesse. Appelle, die sich an das Individuum richten, reichen bei weitem nicht aus. Denn die Dominanz von Männern in Familie, Gesellschaft und Kirche entspricht nicht immer dem subjektiven Wollen des einzelnen Mannes. Vielmehr ist der einzelne Mann zumeist eingebunden in die Normen und Zwänge einer von Konkurrenz und Durchsetzung geprägten Männergesellschaft. Der einzelne Mann, der in diese Dynamik einer Männergesellschaft verstrickt ist, muss zwar neben seinen Privilegien, die er als Mann hat, viele Nachteile wie beispielsweise Stress oder die um 7 Jahre kürzere Lebenszeit in Kauf nehmen, dennoch fällt es ihm schwer, als Einzelperson aus dieser Dynamik auszusteigen. Er braucht gesellschaftliche und strukturelle Unterstützung. Erforderlich sind legistische Anreiz- und Regelungssysteme, die Männer anleiten, einen geschlechtergerechteren Ausgleich zwischen Berufsarbeit einerseits und Haus- und Familienarbeit andererseits zu erreichen. Am weitesten entwickelt ist dieser gesellschaftliche Umformungsprozess in den skandinavischen Ländern. Unter anderem wurde dort als Anreiz für Männer das Karenzgeld auf 80% des Einkommens erhöht, aber gleichzeitig im Sinne einer regelnden Vorgabe beschlossen, dass es nur an jene Paare ausbezahlt wird, in denen auch jener Partner, der nach der Geburt eines Kindes weiterarbeitet (also in den meisten Fällen der Mann), zumindest einen Monat zu Hause bleibt und das Kind versorgt. Der Effekt dieser und anderer Maßnahmen ist, dass beispielsweise in Schweden 44% der Väter in Karenz gehen1 und immerhin 43% der Zeit, die arbeitende Eltern mit ihren Kindern verbringen, von Vätern wahrgenommen wird.
Insgesamt gesehen würden von einer geschlechtergerechten Beteiligung von Männern an Familien- und Hausarbeit alle Familienmitglieder profitieren. Es profitieren zunächst einmal Kinder. Sie haben bessere Entwicklungsbedingungen, wenn sie mehrere physisch und psychisch präsente Bezugspersonen haben. Darüber hinaus würden Frauen endlich ihrer Doppelbelastung von Beruf und Familie entgehen und mehr Freiraum für eine angemessene Karriereplanung bekommen. Geschlechtergerechtigkeit wäre aber auch ein entscheidender Vorteil für Männer. Denn die gravierendsten Nachteile einer gegenwärtigen Männlichkeit für Männer hängen mit der einseitigen Orientierung an Berufsarbeit zusammen. Schließlich käme es auch auf gesellschaftlicher Ebene zu positiven Auswirkungen. Interkulturelle Studien geben Anlass zur Annahme, dass es in geschlechtergerechten Gesellschaften weniger Gewalt innerhalb und außerhalb der Familie gibt, da Gewalt in engem Zusammenhang mit traditionellen Geschlechterverhältnissen, in denen Männer dominieren, steht.
Literatur:
- Großegger, Beate: “Beziehungswerte” – Freunde, Partnerschaft und Familie in den Werte-Sets Jugendlicher, in: Friesl, Christian (Hg.): Experiment Jung-Sein. Die Wertewelt österreichischer Jugendlicher, Wien 2001, 47-72
- Klein, Thomas: Pluralisierung versus Umstrukturierung am Beispiel partnerschaftlicher Lebensformen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (51), 3/1999, 469-489
- Lehner, Erich: Männer an der Wende. Grundlagen kirchlicher Männerarbeit, Innsbruck 2001 Stern, Daniel N.: Die Lebenserfahrung des Säuglings. Stuttgart 1992
von Erich Lehner